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DIE MUSIK GERD SCHNEIDERS

Das Instrumentarium

Gerd Schneiders Instrumentarium war sehr vielfältig. Er erprobte zunächst verschiedene Instrumente, unter anderem eine kleine tragbare Handorgel und eine elektrische Gebläseorgel mit Metallzungen, dem Harmonium verwandt. Wir wissen wenig über sein Verhältnis zum Klavier. Spätestens mit dem Liederzyklus "Fröhliches in Wort und Musik" wurde das Wurlitzer Elektroklavier sein Hauptinstrument.

Elektroklavier aus dem Hause Wurlitzer.
40 W mit Vibrato. (Gerd Schneider Archiv Oberhausen)

 


Kleine tragbare Handorgel. a'  = 415Hz.
(Gerd Schneider Archiv Oberhausen)

Die Notensituation

Bei diesem gut erhaltenen Blatt handelt es sich um eine Harmoniestudie zu dem Lied "Verlier`nicht den Mut".
Vermutlich eine Transposition für die kleine tragbare Handorgel, die häufig eine andere Stimmung hatte.
Häufig sind die Vorzeichen lediglich im ersten System angegeben.

Kompositionsverfahren

Gerd Schneider hat immer wieder neue Impulse für seine Arbeit gesucht. Wahrscheinlich auf seiner Reise zum Bodensee und in das Appenzeller Land (1973) wurde er durch den berühmten "Klosterplan von Sankt Gallen" auf die im Kirchenbau des Mittelalters angewandte Zahlenlehre aufmerksam.

Eine Zahlenlehre, die zur Ermittlung der Proportionen und Maße eines Bauwerks herangezogen wurde, schienen ihm auch geeignet für eine neue Bewertung der diatonischen Skala, die für ihn bis dahin maßgebend war. In der Zahlenmystik und "Zahlentheologie" kommt den für die diatonische Skala wichtigen Zahlen zwischen 1 und 12 eine besondere Bedeutung zu.


GSA 134/6 Tusche. Skizze.


Der Klosterplan von Sankt Gallen, um 820. Stiftsarchiv St. Gallen.

Gerd Schneider und das Publikum

Musikwissenschaftler Dag Hamskjöl, bereits mehrfach zu Gast bei der Gerd Schneider Gesellschaft, über Gerd Schneiders künstlerische Botschaft, Publikum und Sprachgestaltung

Gerd Schneider Gesellschaft: Herr Hamskjöl, Gerd Schneiders Musik besticht durch ihre Einfachheit. Worauf ist diese zurückzuführen: Trivialität aus bewusster Entscheidung oder sehen wir hier die Grenze kompositorischen Vermögens?

Dag Hamskjöl: Ich glaube, dass er einfach in einem ganz konkreten Sozialbezug gelebt hat. Auch Komponisten wie Mozart oder Beethoven wussten ganz genau, auf wen hin sie schreiben. Sie haben eigentlich gar nicht alle nur für die Zukunft geschrieben, sondern für eine zu gestaltende Gegenwart. Und bei der Trivialität handelt es sich um eine Einfachheit, bei der jeder denkt, das kann ich auch. Darin liegt das Geheimnis der Kunst. Wenn sie jemanden sehen, der ganz toll Geige spielt oder Bratsche oder Klavier, und jeder geht nach Hause und ist beseelt, so liegt das daran, dass der Musiker für ihn und an seiner Stelle gespielt hat. Dafür geben die Leute Geld und Beifall, denn er hat etwas realisiert, was sie sich erträumen. Und so hat auch die Musik Gerd Schneiders stellvertretend etwas gemacht für uns alle und wir entdecken an ihm eigentlich ein Stück von uns selbst. Insofern hat er wohl nicht mehr gewollt, aber dieses mit großer Hingabe, dass wir das Gefühl haben, wir kommen zu uns selber, wenn wir diese Musik machen. Und werden auch wieder von uns weggeführt, denn es reicht ja nicht aus, zu uns selbst zu kommen.  

Gerd Schneider Gesellschaft: Sie haben einmal angemerkt, dass Gerd Schneiders Musik ihren Platz eher im intimen Kreis als im großen Forum hat. Ist es eine Frage des Klangs oder sehen Sie hier auch einen sozialen Gesichtspunkt?  

Dag Hamskjöl: Ich sehe stärker den sozialen Gesichtspunkt. So wie heute eine große Rockband ihr Publikum hat, und da kommen natürlich Tausende, gab es auch zu Gerd Schneiders Zeit Massenbewegungen. Aber es gab immer auch Besinnungsphasen, gerade in den Nachkriegswirren, wo diese Musik einen Grundstein gelegt hat für den einzelnen, der zur Ruhe kommen möchte.  

Gerd Schneider Gesellschaft: Ist der private Bereich der Ausgangspunkt seiner Tätigkeit, aus dem heraus sich über Gerd Schneiders gestalterischen Willen ein Kunstwerk gebildet hat?  

Dag Hamskjöl: Ich muss überlegen. Er wollte wohl Kunst machen. Kunst machen heisst ja etwas künden wollen. Aber sein künstlerischer Prozess ist geprägt durch reflektive Momente, durch Zustandsbeschreibungen, mit denen man sich mehr oder weniger identifizieren kann, dass man sagt, so geht es mir doch auch. Ich denke, das sind Dinge, die dazu führen, selbst wenn sie wieder in die große Masse hineinführen, wenn wir zum Beispiel eine große Veranstaltung haben, dass hier der einzelne in der großen Gruppe plötzlich auf sich selbst wieder reflektiert wird. Er ist eben nicht wie sein Zeitgenosse Ernst Busch, der singt: "...und weil der Mensch ein Mensch ist, so braucht er was zum Essen bitte sehr...", das ist nicht Gerd Schneiders Problem. Natürlich muss er was zu essen haben! Aber was macht der Mensch, wenn er was zu essen hat? Da entstehen ja neue Nöte... der geistigen Bestimmung. Und ich denke, da sitzt er eher. (lacht)  

Gerd Schneider Gesellschaft: Eine Rezensentin der hiesigen Lokalpresse versuchte, basierend auf Beuys` Aussage, jeder Mensch sei ein Künstler, den Umkehrschluss, Gerd Schneider sei einer von vielen...

Dag Hamskjöl: ... ich sage jetzt einfach...

Gerd Schneider Gesellschaft: Was ist das Besondere an Gerd Schneider?

Dag Hamskjöl: ... ich sage jetzt mal Erich Fromm: Die Kunst des Lebens und die Kunst des Liebens - eigentlich sind wir alle zu einem künstlerischen Leben berufen. Unser Leben soll uns selbst etwas künden, ist uns selbst eine frohe Botschaft, ein Evangelium, und wir selber sind so oft gefordet, es zu pervertieren, es wird so wenig frohmachend gelebt. Was zeichnet ihn jetzt aus? Dass er eigentlich eine Sprache hat, von der jeder denkt, er könne es auch - aber haben Sie es schon mal probiert? Was kommt dann da raus? Probieren Sie es aus. Es gab ja zu Zeiten Mozarts richtige kleine Kompositionsspiele, wo man Stücke von ihm zerhackstückte und eins zum andern setzte, da kam auch was raus. Aber Sie werden merken, Gerd Schneider kriegen Sie nicht hin. Aber vielleicht kriegen Sie sich selbst hin! Dazu würde ich Sie auf jeden Fall ermutigen und einladen.

Gerd Schneider Gesellschaft: Abschließend noch eine Frage zum Wort-Ton-Verhältnis bei Gerd Schneider: Sehen Sie seine Musik als Untermalung seiner Texte oder gelingt es ihm durch die Musik, in Verbindung mit seinen Texten, etwas Neues zu erschließen?

Dag Hamskjöl: Letzteres. Ich sehe die Nähe zu Schubert, den er bestimmt nachgeahmt hat. Er hat einfache Texte geschrieben, um Raum für die Musik zu schaffen. Und die Musik ist hier auch ausgesprochen ein Stück Handlungsträger. Das ist nicht nur das Plätschern des Wassers, es ist auch die Emotion, die das Plätschern des Wassers hervorruft, wenn ich es in natura höre. Es ist nicht plakativ, sondern es ist die ganze Stimmung des Bachs: die Wanderung, so wie das Leben eine Wanderung ist. Und so ist es der Fluss, der nicht nur plätschert, sondern der verschiedene Ufer sieht, und ich sehe zwar diesen Fluss vor mir und die Landschaft, aber es ist mehr: es ist ein seelisches Bild, das er hervorruft im Klang. Aber es ist nicht losgelöst vom Text zu betrachten, es gehört zueinander aber es gibt eine gegenseitige Durchdringung von Ton und dem Text.

Gerd Schneider Gesellschaft: Herr Hamskjöl, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. (Mai 2001)

 


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